Vater Abt JOHANNES
Deutsches Orthodoxes Dreifaltigkeitskloster

Buchhagen
D - 37619 Bodenwerder


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Kloester


Orthodoxe Fraternitaet

Dreifaltigkeitskloster
Buchhagen,Bodenwerder


   Das Wesen der IKONE


Für denjenigen, dessen Augen geöffnet sind, ist alles Irdische Bild und Gleichnis des Ewigen. Dies gilt in vollendeter Weise für die geheiligte und mit Gott geeinte Lebenswelt, die Kirche. Mit unseren äußeren Sinnen und unserem rationalen Verstand sind die ewigen geistigen Dinge zwar nennbar, aber nicht faßbar. Deshalb galt für den alttestamentlichen Menschen das Bilderverbot - denn es war den Menschen schlechterdings unmöglich, Gottes Angesicht zu schauen.

In Jesus Christus aber ist Gott selber Mensch geworden. Dadurch hat Er uns von der Sünde erlöst und vom ewigen Tod errettet. Überdies hat er uns auf diese Weise ermöglicht, Ihn leibhaftig zu sehen, anzuschauen, anzufassen; Er selbst hat uns in Seiner Menschwerdung Sein göttliches Antlitz gezeigt. Seither können wir in allen Christusikonen und in allen Heiligen das Antlitz Gottes erkennen. Aber ebenso, wie man die heilige Schrift nur im Heiligen Geiste wirklich verstehen kann, so kann man auch nur im Heiligen Geist in den irdischen Abbildern die ewige Wahrheit wiedererkennen.
Weil nun Gott durch Seine Menschwerdung die ganze Schöpfung erneuert und geheiligt hat, und uns Sein heiliges Antlitz gezeigt hat ("wer mich sieht, sieht den Vater", Joh.14,9), deshalb nutzen und ehren wir die heiligen Bilder und Symbole im Kult. Wir unterscheiden aber zwischen Anbetung (Latreia) und Verehrung (Proskynesis). Anbetung gebührt einzig und allein Gott, der wesenseinen und unteilbaren Dreiheit in Vater, Sohn und Geist. Ehre aber gebührt jedem Heiligen, jedem Engel, jedem heiligen Symbol, jedem Mönch oder Priester, jedem orthodoxen Kultbild, kurz, allen authentischen Manifestationen Gottes, Seiner Heiligen und Seiner Kirche.
Die rituelle Ehrerweisung vor den heiligen Symbolen, dem Evangelium, dem Kelch, den Ikonen, den geweihten Menschen, dem Tempel usw. richtet sich stets auf Gott selbst und meint letztlich immer Ihn - die konkreten Gegenstände oder Personen aber insoweit, als sie Träger der göttlichen Gnade und Kraft und Gegenwärtigsetzungen der Herrschaft Gottes und Abbilder Seiner Hoheit und Schönheit sind.

Urbilder, Vorbilder und Abbilder


Das Ganze offenbart sich am Einzelnen, das Hohe im Niedrigen, das unsichtbare Wesen in der sichtbaren Gestalt. Das Antlitz eines Menschen z.B. zeigt nicht nur seine augenblickliche Verfassung an, nicht nur das, was er gerne darstellen möchte, sondern offenbart sein inneres Wesen und seine ganze Geschichte. Freilich kann nicht jeder diese Zeichen lesen.
Eine Ikone will uns nicht in erster Linie das vergängliche irdische Fleisch des Dargestellten vor Augen führen, sondern vielmehr das geistige, innere Antlitz, die im Leben gewordene, nun ewige Gestalt (Hypostase). Bei den Heiligen entspricht die im Leben gewordene personale Gestalt (Hypostase) dem ewigen Urbild, der göttlichen Idee dieses Menschen. Man könnte von Jedem eine Ikone malen, aber solche Ikonen wären nicht kultfähig, da nicht jeder ein Heiliger ist, seine Gestalt ist noch unerfüllt, noch nicht in Wahrheit verwirklicht.
Hier muß ich auf einen Unterschied eingehen. Eine Idee im landläufigen Sinne ist eine menschliche Vorstellung oder Wunschvorstellung von etwas oder von jemandem. Wenn hier von der göttlichen Idee gesprochen wird, dann ist damit ein Gedanke Gottes, ein göttliches Urbild gemeint, dem schöpferische Macht innewohnt. Menschliche Ideen sind aus der Anschauung der irdischen Gegebenheiten gewonnen und können diese kreativ erweitern oder verändern. Unsere irdische Lebenswelt ist wesentlich von den menschlichen Ideen und Vorstellungen geprägt. Göttliche Ideen aber haben keine Ursache, keine Vorbilder, sondern bringen das Sein selbst hervor. Sie sind selber die Urbilder des Seienden. Menschliche Abstraktionen sind ebenfalls gedankliche Abbilder, verkürzte zumeist, Denkfiguren, mit denen wir uns die Welt begreifbar machen - aber sie sind etwas völlig anderes als die Gedanken Gottes, von denen es heißt : "wer reicht an das Maß Deiner Gedanken heran, wahrlich, sie sind mehr als jede Zahl". Sowohl von den Gedanken Gottes als auch von abstrakten Vorstellungen oder phantastischen Ideen sind die schöpferische Ideen des Menschen zu unterscheiden. Wenn nach ihnen Wirklichkeit gestaltet wird, dann ist es eine Wirklichkeit, die in der Wahrheit ruht. Sie setzen Seiendes, in der Ewigkeit verankertes, voraus, nämlich die Gedanken Gottes, und also die Fähigkeit des Menschen zu geistiger Schau. Insofern korrespondieren wahre schöpferische Gedanken und Werke mit den Urbildern, den Gedanken Gottes.
Wo menschliche Ideen ohne dem entstehen, entfernen sie sich von der ewigen Wahrheit, anstatt sie abzubilden. Solche unerleuchteten Ideen führen zu falschen Vorstellungen; sie sind Pseudoikonen, geben keine wirklichen Urbilder wieder, auch wenn sie aus Unwissenheit als Vorbilder genommen werden. Wenn man ihnen nacheifert, nähert man sich keineswegs der Wahrheit, sondern entfernt sich vom Sein, verfällt in bloßes Dasein (Materialismus, Ideologien usw.). Die moderne Unterhaltungsindustrie ist voll von solchen Pseudoikonen. Sieht man die oft hysterische Verehrung, die solchen Pseudoikonen widerfährt (Popstars, Hitlers, Gurus), ermißt man den Trug, dem Menschen ausgesetzt sind.
Ikonenmalerei kann nie "gegenstandslos" sein, da die Ikone beansprucht, wahre ewige Wirklichkeit abzubilden. Aus demselben Grunde kann sie nicht rein naturalistisch sein, sondern wird sich immer irgendwo zwischen Abstraktion und naturgetreuer Darstellung bewegen; dadurch bewahren die Ikonen der verschiedensten Ecpochen immer eine gewisse Eigenart, die sie vom Stil der weltlichen Malerei - ein Stück weit - unterscheidet. Eine völlig abgehobene bis ins Detail äußeren Festlegungen folgende Ikonenmalerei ist hingegen nicht ideal.

Der Ikonenmaler muß versuchen, das ewige Urbild seines Abbildes zu treffen. Er muß zunächst die Gesamtheit der Entwicklung der Persönlichkeit des dargestellten Heiligen zu erfassen trachten, um die in Ewigkeit bleibende Identität und Wirklichkeit im Abbild widergeben zu können. Diese Wesensgestalt nennt man Hypostase. Nach christlicher nichtdogmatisierbarer Auffassung werden wir nach dem jüngsten Tage unseren Leib wiedererhalten, aber in einer Gestalt, die unserem ewigen Wesen vollkommen entspricht - ohne Krankheit, ohne Makel, ohne Alter usw. Diesem ist die Erkenntnis der Wahrheit und die Erfahrung der göttlichen Liebe eingeschrieben. Das ist die gnadenhafte Vollendung. Nur wenige Ikonenmaler haben die asketische Schulung und die geistige Schau, die Urbilder so klar zu erkennen. Deshalb sind die Ikonentypen durch die kirchliche Tradition vorgegeben, und das getreue Nachzeichnen ideal gemalter Vorbild-Ikonen muß die unmittelbare Schau des Urbildes ersetzen. So wird im Ganzen die nötige, ohnehin stets nur relative, Übereinstimmung der Darstellung mit der ewigen Wirklichkeit gewährleistet. Paul Florenski, ein genialer orthodoxer Theologe, Priester und Martyrer unseres Jahrhunderts, spricht von einer Arbeitsteilung : es gibt die Schauenden, denen es gegeben ist, die kirchliche ikonographische Tradition zu erweitern, und nennt dazu als Beispiel den großen russischen Rublew; daneben braucht es das Heer der Manufakturarbeiter, die die Abbilder der authentischen Schau verbreiten. Keine gemalte Ikone kann indes das eigentliche Wesen oder Sein (ousia) des Dargestellten, noch seine derzeitige Beschaffenheit (physis) ersetzen. Eine Ikone bleibt immer nur Holz und Farbe, so wie die Verkündigung der Wahrheit stets aus menschlichen Gedanken und Worten besteht, und kann deshalb niemals im strengen Sinne identisch mit der ewigen Wesenheit sein. Die wirkliche Gegenwart des Dargestellten wird dem Gläubigen geistig und gnadenhaft zuteil, wenn er des bedarf und geöffnet ist.
Ich muß nun den Begriff der Gestalt noch einmal aufzugreifen und ihn in Beziehung zum "Wesen" setzen. Ich habe Hypostase mit "Gestalt" übersetzt und den Begriff inhaltlich präzisiert. Die Gestalt habe ich als "im Leben gewordene" bezeichnet und daran die besondere Qualifikation des Heiligen gegenüber dem noch nicht vollendeten "Menschen" festgemacht. Hypostase wird aber auch mitunter als "Erscheinung" übersetzt, was nicht falsch ist. Man muß dazu nur wissen, daß die "Erscheinung" einer personalen Wesenheit in der Gesamtheit ihrer konkreten, Leben gewordenen Existenz gemeint ist. Dazu gehört das Lebenswerk der Person, ihr Verhalten und ihre Beziehungen zu anderen Menschen, zu Gott, zu den Engeln und Heiligen, ihre Taten und Untaten, usw. Alles dies hat natürlich sowohl mit dem innersten Wesen des Menschen als auch mit der äußeren Person zu tun, und muß doch von diesen unterschieden werden. Das Wesen ist das zu Grunde liegende, vorkonkrete Sein, welches erst und nur in der konkreten Lebenswirklichkeit ausgeprägte Gestalt gewinnt, d.h. erst allmählich, im Laufe des Lebens nach außen tritt, eben "erscheint"; daher "Erscheinung". Das Wesen des Menschen birgt stets eine Fülle konkreter Ausprägungsmöglichkeiten in sich; durch die Auseinandersetzung mit der Welt, durch die Erfahrungen des Lebens, durch Lernen, Wissen, reflektierendes Erkennen, durch Leiden zuletzt und Läuterung, zuinnerst durch Überwindung und Hingabe, wird dann die konkrete Hypostase ausgeformt. Alle Einflüsse, Prägungen und Erfahrungen aber werden in einer spezifischen, nur diesem unwiederholbaren Menschen eigenen Weise aufgenommen und verarbeitet, so daß dieselbe Begegnung bei verschiedenen Menschen durchaus zu sehr verschiedenen Empfindungen, Erinnerungen und Prägungen führt. Das Wesen äußert sich in der Bedeutung, sozusagen in Geschmack und Farbe oder Klang, die die Dinge subjektiv annehmen. Der theologische Terminus für das Wesen ist "ousia". Zum Wesen eines Menschen, aber auch eines Engels, gehört der Gedanke Gottes; dieser ist das ideale, ewige Urbild der betreffenden Person. Ebenso gehört aber auch die Stofflichkeit zum Wesen; bei uns ist dies Fleisch und Blut, irdische Materie - die Engel sind von geistiger "Stofflichkeit", oder eben, wie es in den liturgischen Texten heißt "körperlos, unstofflich", was sich lediglich auf den Unterschied zu unserer irdischen, fleischlichen Stofflichkeit bezieht, und keine ontologische Definition sein will. Ebemso wie unsere Körperlichkeit ist es aber unsere unsterbliche Geistseele, die unser Wesen bildet.
Die Schöpfungsgeschichte beschreibt dies sehr schön : " Gott nahm Lehm vom Acker und formte den Menschen; und Er blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. So ward der Mensch ein lebendiges Wesen". Materie und Geist (Odem Gottes) bilden also den Menschen. Lebendig nennt die Schrift uns, weil wir nicht nur irdischer Natur sind, sondern auch unvergänglicher, geistiger Natur, weil wir unsterbliche Seele sind. Die andere Stelle in der Schöpfungsgeschichte in Genesis spricht vom Bild : "Und Gott schuf den Menschen nach Seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf Er ihn; und er schuf ihn als Mann und Frau". Die zweifache Formulierung wird von den Vätern als Hinweis auf eine zwiefache Bedeutung angesehen: zum Einen ist der Mensch bereits durch seine Geschöpflichkeit Abbild Gottes. Zum Anderen aber ist da ein Urbild, jener göttliche Gedanke, welches erst noch im Leben verwirklicht werden will.
Seit dem Sündenfall gehört Irrtum, Sünde, Gottesferne zur real existierenden menschlichen Natur. Krankheit, Leiden, Tod, Hinfälligkeit des Leibes sind Abbilder und Folge der Beschädigung unserer geistigen Natur. Ursache dafür ist die Sünde, die Absonderung von Gott. Wenn wir sagen, dass Krankheit und Tod die Frucht der Sünde sind, meinen wir das nicht in dem Sinne, daß der Leidende selber sündig sei, während der Gesunde für sich Heiligkeit und Sündlosigkeit beanspruchen könnte, sondern grundsätzlich auf die allgemeine irdische Existenz bezogen.
Mit dem göttlichen Urbild tragen wir aber etwas in uns, was zu unserem ureigensten Wesen gehört und was uns zur Vollkommenheit, zur Reinheit und Schönheit streben läßt.
Es ist der Irrtum, unsere geistige Hinfälligkeit, und daraus folgend unsere Eigenliebe, Selbstsucht, Hochmut, Habsucht, Gier, usw., die unser göttliches Urbild verschmutzen, beschädigen und immer mehr verschütten, bis wir zuletzt die Erinnerung daran verloren haben. Das ist der gefallene Adam. Wir alle folgen Vorbildern und werden von Vorstellungen und Prägungen verschiedenster Art bestimmt - ohne uns in der Regel Rechenschaft darüber abzulegen. Damit wird aber unsere tatsächliche Lebensgestalt gebildet. Bewußt oder unbewußt ahmen wir Menschen nach, die in unserem Leben eine Rolle spielen; ebenso übernehmen wir Vorstellungen und Verhaltensweisen, aber auch Ängste und Unsicherheiten. Der äußere, ungeistige Mensch orientiert sich dabei nach weltlichen Kriterien, wie Macht, Erfolg, Reichtum, Ansehen usw. Alles dies gehört aber noch zur unerlösten, gefallenen Welt. Wenn wir nun das Prinzip erkennen, wird uns natürlich sehr interessieren, inwieweit es möglich ist, uns von all diesen weltlichen, zweifelhaften Vorbildern und Prägungen zu befreien und unser eigenstes Wesen, jenes göttliche Ubild in uns zu erkennen. Wenigstens wollen wir an der Heranbildung unserer Persönlichkeit, d.h. unserer im tatsächlichen Leben sich bildende, dann in Ewigkeit bleibende Wesensgestalt, uns selber beteiligen. Wir wollen darauf Einfluß nehmen, wie und durch was wir unsere Wesensgestalt prägen lassen. Wir werden daher unsere Lebenswirklichkeit in eine Richtung zu entwickeln suchen, die unserem innersten, ewigen Wesen entspricht. Dies wird uns in Harmonie mit der göttlichen Wahrheit führen und uns unserer ewigen Bestimmung näherbringen.

Nachdem Gott nun durch Moses und die Propheten und durch vielfältige Zeichen, durch Heilige in allen Völkern zu dem Menschen gesprochen hatte, und die Menschen vorbereitet hatte, wurde er selber Mensch in Jesus Christus. In ihm haben wir nun das Urbild des vollkommenen, sündelosen Menschen und den lebendigen Gott selbst. Christus kann die Vollkommenheit des göttlichen Bildes sein, weil er selber Gott ist (während wir unserem Urbilde niemals gleich, sondern nur ähnlich werden können). Christus ist als "der neue Adam" das vollkommene Bild Gottes. Indem wir nun im Kult der Kirche, in den Mysterien, im Leben uns dieses vollkommene Bild vergewärtigen und mit ihm kommunizieren, werden wir auch unseres eigenen Urbildes wieder gewahr; es wird neu belebt und erhält die geistige Nahrung, derer es bedarf.
Es ist aber nicht mit dem Betrachten getan, auch nicht mit der willentlichen Nachahmung (etwa im Sinne der "imitatio Christi") oder dem Bemühen um einen asketischen oder moralischen Lebenswandel allein. Erst wenn die göttliche Gnade und Kraft durch die Sakramente und Segnungen der Kirche uns berührt und erfüllt, erst wenn wir das göttliche Leben wirklich in uns aufnehmen und dadurch gewandelt werden, erst dann wird unsere Erlösung wirklich; erst dann gewinnt unser göttliches Urbild die gestaltende Macht, unsere Lebenswirklichkeit und unsere Wesensgestalt zu durchlichten. Dann erst können wir dem göttlichen Urbilde wirklich ähnlich werden.
Umgekehrt ist aber der Empfang der Sakramente und die äußere Zugehörigkeit zur Kirche keineswegs ausreichend, sondern das Mühen um Heiligung und Erkenntnis sind ebenso wichtig. Die Sakramente und Segnungen der Kirche nähren, beleben und stärken unsere geistige Natur; unser Mühen um Läuterung und Heiligung (also der Bereich der Askese, des ethischen Lebens) bereitet unsere irdische Natur zu. Dazu gehört die Differenzierung und Läuterung unserer Handlungsweisen, unserer Gefühlswelt und unseres Bewußtseins (Reinigung der Gedanken). Das ist dann die Grundlage für die eigentliche transzendierende Wahrnehmung der Seele. Für diese asketisch-praktische Seite des orthodoxen Weges wird man sich sinnvollerweise einem geistlichen Vater (bzw. für die Frauen auch einer geistlichen Mutter) anvertrauen.
Die göttliche Gnade und das Mühen des Menschen können nicht gegeneinander ausgespielt werden; sie bilden eine untrennbare Einheit. Dem aufrichtigen Mühen des Menschen kommt die Gnade Gottes entgegen. Das Zusammenwirken des Menschen mit Gott, des menschlichen Mühens mit der göttlichen Gnade und Kraft, nennt man Synergie.
Dieser ganze Zusammenhang findet sich als Kryptogramm in der Weisheit Salomos, z.B. wo es heißt (soph. Sal. XI 17) von der Hand Gottes, daß sie "die Welt aus ungestaltetem Stoff ("amorfou hylés") erschaffen hat" - Luther übersetzt "ungestaltetem Wesen", womit er den inneren Sinn intuitiv erfaßte und wiedergab, der sich auf den Ursprung des Seienden nicht im Sinne physikalischer oder chemischer Beschaffenheit, sondern eben auf das in Ewigkeit Bleibende bezieht, was jenseits des irdischen Daseins, in demselben -oder trotz desselben- nach dem göttlichen Urbilde und in der Synergie mit der göttlichen Gnadenkraft an Wesensgestalt durch Vollendung reift. Daß dies ein anderer, neuer Schöpfungsvorgang ist, der indes als Telos bereits in der Erstschöpfung angelegt ist, darüber sprach Christus zu Nikodemus und seinen Jüngern ausführlich.
Das göttliche Urbild eines Menschen zu erkennen, sei es das eigene oder sei es das einer anderen Person, erfordert nicht nur großes Wissen und Erfahrung, sondern auch die Fähigkeit zu geistiger Schau. Wo dann die geistigen Wirklichkeiten erkennbar werden, dort bedarf es zudem der Gabe der "Unterscheidung der Geister". Diese Fähigkeiten werden nicht ohne Leiden und nicht ohne Opfer erworben. Sie gehören neben Demut, Klarheit, Liebe und innerer Freiheit zu den Eigenschaften eines echten geistlichen Vaters.

Kehren wir abschließend wieder zur Ikonenmalerei zurück. Wir haben gesehen, welche Bedeutung das Urbild und seine Verwirklichung für unser Leben haben. Wir haben auch gesehen, daß es falsche Bilder und Vorstellungen gibt, und daß es notwendig ist, falsche von wirklichen Ikonen zu unterscheiden, wobei wir den Begriff der Ikone auf das zugrundeliegene spirituelle Prinzip hin erweitert haben. Dabei hatten wir zunächst die Ikone eines Heiligen oder eines Engels, des Herrn oder der allheiligen Mutter im Blick. Beim Malen einer Festtagsikone gilt analog: der spirituelle Wesensgehalt des Vorgangs, des Festes, muß erfaßt und wiedergegeben werden; die historischen Umstände sind für die geistige Schau zweitrangig. Bei der Pfingstikone z.B. ist es nicht wichtig, daß die Gebäude und das Mobiliar historisch richtig dargestellt ist, sondern wichtig ist, daß das Feuer des Geistes und die Bewegung und Haltung der Apostel angemessen dargestellt werden. Es genügt ein angedeuteter architektonischer Hintergrund, um zu zeigen, daß dies in Jerusalem stattfand. Der Ewigkeit des Geschehens wird man dadurch gerecht, daß man die Szene geradezu aus jedem historischen Kontext entfernt; eine Übertragung in andere Zeiten oder irgendwelche Aktualisierungen sind völlig unangebracht. Die Typisierung der gemalten Ikonen rührt zum einen von dem Beschränken auf die ewige Aussage her, zum anderen gewährleistet sie, daß jeder die Ikone auf den ersten Blick erkennt und zuordnen kann; damit dient sie der Kommunizierbarkeit und Verständlichkeit. Schließlich wird jede Ikone beschriftet, um auch dem Unwissenden einen Anhaltspunkt zu geben.

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